Together for ``The Just Transition``. Interview with Enrico Giovannini
Das Festival für nachhaltige Entwicklung ist vor wenig mehr als einem Monat zu Ende gegangen, aber die Ergebnisse, die es hervorgebracht hat, sind keineswegs überholt. Im Gegenteil, die von ASviS auf der zentralen Abschlussveranstaltung am 24. Mai vorgestellten Berichte, Empfehlungen und Forderungen sind nach wie vor gültig und dringlich: die Verabschiedung der neuen Nationalen Strategie für nachhaltige Entwicklung, die Empfehlung, die rund 140 Milliarden der nationalen und europäischen Kohäsionsfonds 2021-2027 für die Umsetzung der Agenda 2030 zu verwenden, einschließlich des Aufbaus eines Mehrebenensystems von Strategien und territorialen Agenden für nachhaltige Entwicklung, das die Kohärenz der territorialen und nationalen Politiken gewährleistet; zu den Forderungen gehört auch die Verabschiedung des Nationalen Plans zur Anpassung an den Klimawandel, der angemessenen ausgestattet sein müsse, auch mit Rückgriff auf Mittel aus dem Nationalen Aufbau- und Resilienzplan (Pnrr) und des Kohäsionsfonds 2021-2027, sowie die Aktualisierung des Nationalen Integrierten Energie- und Klimaplans.
Wenige Tage zuvor, am 9. Juni, hatten wir Gelegenheit, ein Interview mit Enrico Giovannini zu führen, in dem wir – kurz nach dem Festival – dessen Ergebnisse haben Revue passieren lassen und über die Perspektiven der nachhaltigen Entwicklung in Italien und der deutsch-italienischen Beziehungen gesprochen haben.
Auf die Frage nach der Umsetzung und Fortführung der Reformen und Transformationen, die unter der Regierung Mario Draghi begonnen wurden, der Giovannini als Minister für nachhaltige Infrastruktur und Mobilität angehörte, antwortete er, dass seiner Meinung nach die Arbeit an den Themen, für die er zuständig war, auch nach dem Regierungswechsel fortgesetzt werde. Auch wenn es einige Änderungen gebe, seien die Grundausrichtung und die Strategie nicht verändert worden, sowohl hinsichtlich der Investitionsentscheidungen als auch bei der neuen Vergabeordnung („There are changes which don’t change the overall strategy“). Schließlich müssten die Prinzipien des NextGenerationEU respektiert werden. Darüber hinaus seien interessante neue Entwicklungen zu verzeichnen, wie z.B. die Tatsache, dass die Verpflichtung zu Nachhaltigkeitsprinzipien in öffentliche Ausschreibungen aufgenommen wurde: „This is the new way of developping infrastructures, well beyond the NextGenerationEU investments“. Auch wenn es in Italien leider immer noch an einer systemischen, langfristigen Planung des Infrastruktursystems fehlt, wie er in einem kürzlich erschienenen Artikel ausführt.
Giovannini sieht Italien zudem an internationale Vereinbarungen gebunden, wie die der G7, deren Präsidentschaft Italien am 1. Januar 2024 übernimmt: Die Klimakrise und das Thema Nachhaltigkeit spiele auch auf dieser Ebene eine immer wichtigere Rolle und Italien sei aufgerufen, diese Entwicklung mitzugestalten.
Mit Blick auf das Jahr 2024 erinnerte Giovannini schließlich an die Europawahlen als wichtige Wegmarke: Auch wenn derzeit keine verlässlichen Prognosen möglich seien, zeichne sich eine Verschiebung des politischen Gleichgewichts zugunsten der Mitte-Rechts-Kräfte ab, und es sei nicht auszuschließen, dass diese ihre Ankündigungen, den begonnenen ökologischen Wandel aufzuhalten oder zu verlangsamen, in die Tat umsetzen werden – „which would be a huge mistake“. Umso wichtiger sei daher, dass die Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen ihr beharrliches Engagement für den so dringend notwendigen sozialen, ökologischen, digitalen, kurz den gerechten Wandel („the just transition“) fortsetzten und diesen bei den Regierenden und Institutionen einforderten, unabhängig von den politischen Machtverhältnissen.
In diesem Zusammenhang haben wir schließlich über die Bedeutung der deutsch-italienischen Beziehungen gesprochen. Tags zuvor, am 8. Juni, hatte der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz bei Presidente Giorgia Meloni in Rom stattgefunden, und bei diesem Anlass hatten die beiden Regierungschefs wechselseitig den Wunsch und Willen nach einer Intensivierung der bilateralen Zusammenarbeit bekundet. Im Herbst 2023 will man sich zu Regierungskonsultationen treffen und den seit geraumer Zeit in Ausarbeitung befindlichen deutsch-italienischen Aktionsplan unterzeichnen.
Auf unsere Frage, welche Erwartungen Enrico Giovannini an die deutsch-italienischen Beziehungen und den Aktionsplan habe, antwortete er, dass es ein Stabilitätsanker sein könne. In Italien und Deutschland gebe es in diversen Politikfeldern unterschiedliche Sichtweisen, zum Beispiel auf die Migrationsfrage – „a hot potato“, oder bei Fiskalregeln, aber es bestehe die Hoffnung, dass auf europäischer Ebene Lösungen gefunden würden. Angesichts der Konfliktpotentiale sei es umso wichtiger sei, dass die bilateralen Beziehungen zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen gestärkt und ausgebaut würden, gerade mit Blick auf die Europawahlen. ASviS werde die Zusammenarbeit mit den deutschen Partnern wie platea2030 gerne stärken und ausbauen.
Wir danken Enrico Giovannini herzlich für dieses Gespräch und werden unsererseits mit platea2030 und den Partnern die deutsch-italienische Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung fortsetzen und ausbauen.
Ich möchte an dieser Stelle auf die Dokumentation der Reihe „Deutsch-italienische Dialoge für nachhaltige Entwicklung“ hinweisen, die im Rahmen des Festivals für nachhaltige Entwicklung 2023 stattfand. Inzwischen sind auch die Videoaufzeichnungen der Veranstaltungen verfügbar.